Am Viktualienmarkt in München gibt’s fast alles. Bier und Brezn, Kaas und Kaffee, Gemüse, Trachten, einen Biergarten, Reh vom Jäger… alles schön bayerisch. Und dann, als einer der ältesten Stände, die Nordsee.

Eigentlich ein Außenseiter, ein norddeutsches Schnellrestaurant zwischen Leberkas und zwei Bratwürste in der Semmel. Allerdings schon seit 1812 Teil des Marktes, und das hat eine Medizinalgeschichte.

Die Nordsee am Viktualienmarkt

Bayerische Ernährung in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts war sehr gemüselastig. Im Sommer gab es, wenn man Verbindungen hatte, ab und zu einmal Schlachtplatte, und Milch und Eier waren eigentlich immer da, aber die meisten Münchner ernährten sich von Brot, Bier und Kartoffeln. In den Alpenregionen ist der Boden sehr Jodarm, es wurde also kein Jod über diese Ernährung aufgenommen.

Das führte ganz schnell zu Jodmangel. Jod wird in unserem Körper ganz besonders (und fast ausschließlich) von der Schilddrüse genutzt, welche daraus Thyroxin (Tetrajodthyronin, T4) und Trijodthyronin (T3) herstellt. T3 und T4 (T3 und T4 werden von der Schilddrüse ausgeschieden und bei Bedarf wird T3 im Körper auch aus T4 hergestellt) sind unabdingbar für unsere Gesundheit, bei Mangel leidet erst der Körper, später bildet sich aus der jetzt geschädigten Schilddrüse der Kropf, den man in alten Bildern nicht selten sieht. Das wurde, wegen der Begleitausscheidung von Kreatinin (welches man als Maßstab nahm), auch erst “Kreatinismus”, dann “Kretinismus” genannt. Das Word “Cretin” oder “Kretin” kommt also aus dem Jodmangel.

Kaiser Maximilian I. Joseph von Bayern ließ sich schon 1812 von seinem Leibarzt dazu überreden, einen Fischstall der Nordseefischerei in der Markthalle zuzulassen. Die darauf nachgewiesen drastisch reduzierte Inzidenz von Jodmangel und Kröpfen gilt als eine der ersten echten epidemiologischen Studien, und schaffte es, dass Max I. Joseph schon drei Jahre später die Anwesenheit eines Nordseefischerei-Ablegers finanzierte und verpflichtend machte.

Als die Stände 1850 in die heutige Konfiguration umzogen, zog auch die Nordseefischerei um, welche heute immer noch, gesetzlich gesichert, als “Nordsee” dort Fisch verkauft.

Heute wird Jod in dem meisten Salz und anderen Speisen verpflichtend angereichert. Kröpfe und Jodmangel sind außerhalb sehr einseitiger oder eingeschränkter Ernährung eher selten und können auch schnell mit Tabletten oder einer Ernährungsanpassung bekämpft werden. Aber die Nordsee ist immer noch da :)

{{ich bin ein Dumbatz, und habe T3/T4 das beim Umschreiben original falsch gehabt, danke @girl_friday@openbiblio.social für die Korrektur}}

Bild 1: Nordsee

Ein modernes, rundes Schnellrestaurant der Kette Nordsee steht im Zentrum des Bildes, eingerahmt von grünen Bäumen. Über dem Eingang prangt das große, blaue Logo mit rotem Fischsymbol. Durch die großen Fenster sieht man Fischgerichte und Kund:innen. Vor dem Lokal schlendern Menschen vorbei – es wirkt lebendig und einladend.